Diesem großen Themenspektrum ging er an seinen weiteren akademischen Wirkungsstätten im Südwesten nach, in Tübingen, wo er 1984 auf den Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Landesgeschichte und Historische Hilfswissenschaften berufen worden war, und schließlich wieder in Freiburg, wohin er 1991 dem Ruf auf den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität folgte.
Neben Forschung und Lehre engagierte er sich erfolgreich in der Akademischen Selbstverwaltung, als Dekan 1995-1997 und als Sprecher des Gemeinsamen Ausschusses der Philosophischen Fakultäten, von 2002-2004 war er Mitglied des Senats. Mit großem Elan war er am Aufbau des Freiburger Uniseums beteiligt und trug maßgeblich zur großen Universitätsgeschichte bei, die anlässlich des Jubiläums 2007 erschienen ist. Für diese Verdienste wurde er mit der Universitätsmedaille geehrt.
Bald nach seiner Emeritierung im Jahre 2005 widmete er sich der rechtlich umstrittenen und politisch heiklen Frage der badischen Kulturgüter. Aufgrund eines Archivfundes gelang es ihm nachzuweisen, dass die sog. „Markgrafentafel“ von Hans Baldung Grien bereits 1930 in Staatsbesitz übergegangen war. Damit erregte er großes Aufsehen, plante doch das Land den Ankauf dieser millionenschweren Votivtafel.
Ungeachtet dieses Scoops waren Mertens wissenschaftliche Aufgeregtheiten oder gar Eitelkeiten fremd. Vielmehr prägten freundliche Gelassenheit seine Haltung, stilistische Eleganz seine Schriften und subtile Ironie seine Rede. Ungeachtet seiner sympathisierenden Überlegungen zum Freiraum der humanistischen Intellektuellen zwischen Gelehrsamkeit und Politik hat er nicht den Habitus des Gelehrten im Gehäuse gepflegt, sondern stets den lebendigen Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen gesucht, mit älteren und jüngeren, in seinem Schülerkreis und auch im großen interdisziplinären Zusammenhang. Von seiner Wertschätzung und andauernden wissenschaftliche Ausstrahlung zeugen zahlreiche Ehrungen und Preise. Er war Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und im Wolfenbütteler Arbeitskreis für Renaissanceforschung. Für sein wissenschaftliches Lebenswerk wurde er 2007 mit dem Schillerpreis der Stadt Marbach ausgezeichnet. Aus Anlass seines 70. Geburtstages widmeten ihm Freunde, Kollegen und Schüler ein Kolloquium und eine Publikation zu dem Thema „Humanisten edieren“. Die doppeldeutige Formulierung des Titels fängt das Grundanliegen von Mertens´ Forschungen ein: Erst die Beschäftigung mit der editorischen Tätigkeit als gelehrter Praxis der Humanisten und die methodengeleitete Erschließung von Humanistica ermöglichen den Zugang zur historischen Gelehrtenkultur und bilden damit die aktuellen Grundlagen für jede wissenschaftliche Auseinandersetzung. Für die allermeisten aus diesem Kreis kam der Tod von Dieter Mertens unerwartet, sie hatten gehofft, dass er seine Forschungen fortsetzen könnte. Mit ihm verlieren die deutsche Mediävistik und Renaissanceforschung einen hochangesehenen Gelehrten. Und wer ihn kennenlernen durfte, trauert um einen großherzigen Menschen, einen geistreichen Gesprächspartner und intellektuell anregenden Redner.
Birgit Studt | Jürgen Dendorfer |